Wie digital ist das Bauen? Ein Interview mit der Bauunternehmerin Laura Lammel


Laura Lammel ist seit Kindesbeinen dem Bauen verbunden: Ihr Großvater gründete das Bauunternehmen Lammel Bau im Jahr 1948, ihr Vater führte es ab den 1970er Jahren weiter. Heute leitet sie eine agile Baufirma in einer männerdominierten Branche – mit Erfolg. Denn sie hat unter anderem früh die Chancen der Digitalisierung erkannt, setzt auf offenen Dialog und Schulterschluss. Und das selbst mit der Konkurrenz.

Frau Lammel, Sie führen ein Bauunternehmen und sind gleichzeitig Obermeisterin der Bauinnung München Ebersberg. Das bedeutet viel Arbeit und viel Stress. Was sind Ihre aktuellen Schwerpunkte auf dem Weg zu einem innovativen Bauprozess?

Laura Lammel: Bei uns sind es vor allem Veränderungen in der Baustruktur. Wir setzen zum Beispiel Vermessungssysteme mit Drohnen oder tragbare Scanner ein. Und das sowohl im Neubau wie auch beim Bauen im Bestand. Dahinter stehen bei uns Systeme, die sehr viel genauer sind, als jedes händische Aufmaß. Für uns bedeutet das eine deutlich größere Planungs- und Kostensicherheit in allen Projekten. Die Bauherren profitieren davon ebenso und behalten ihre Kosten im Blick. Das ist vor allem im Bestand wichtig, vor dem Hintergrund von Nutzungsänderungen oder Anpassungen bei einer Sanierung.

Die Digitalisierung im Baugewerbe ist eine Herausforderung. Wo stehen wir da aktuell bei Ihnen in Bayern und in ganz Deutschland?

Laura Lammel: Eigentlich sind wir schon weit vorn dabei, weil viele kaufmännische Prozesse in den Baubetrieben weitgehend digitalisiert und die Unternehmen mit der Zeit gegangen sind und neue Anforderungen umsetzen. Bei den Baustellen und den Abläufen dort, vor allem im Hochbau, ist es aber viel komplexer. Im Tiefbau oder Verkehrswegebau geht schon weitaus mehr. Nehmen wir beispielsweise die Deutsche Bahn: Alle Planungen müssen hier mittlerweile mit BIM entstehen. Im Hochbau dauert das noch. Die Unternehmen stellen sich dennoch der Digitalisierung und BIM. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass für sie damit hohe Kosten verbunden sind und es zeitintensiv ist.

Apropos BIM. Welchen Stellenwert nehmen digitale Planungsmethoden im Baugewerbe ein?

Laura Lammel: Die Planungsmethode BIM ist längst noch nicht dort, wo sie sein könnte. Dazu muss man wissen, dass es nicht allein am Handwerk hängt, sondern eben auch an den Architekten und Ingenieuren, die BIM angehen müssen. Wir müssen lernen, insgesamt stärker über das gesamte Baugewerbe hinweg, zusammenzuarbeiten, um Standards und Schnittstellen zu schaffen. Es ist also eher eine Definitionsfrage: Wie gebe ich welche digitalen Informationen in welchem Umfang an den Handwerksbetrieb weiter? Denn die Betriebe benötigen ja längst nicht alles aus dem BIM Modell.

Was verändert sich aktuell in Hinblick auf neue Arbeitsmethoden und Prozesse auf unseren Baustellen?

Laura Lammel: Sicherlich nimmt das digitale Mängelmanagement einen großen Stellenwert ein. Das funktioniert inzwischen gut. Parallel sollten aber Vorfertigung und Standardisierung beim Bauen vorangetrieben werden. Architekten, Planer sowie Bauherren müssen wir dazu animieren, schneller im Planungsprozess baurelevante Entscheidungen zu fällen und modular sowie standardisiert zu planen. So erhalten wir im Projektverlauf früh eine verbindliche Planung, die dann zügig in die Fertigung gehen kann.

Es hängt also alles an den späten Entscheidungen im Projekt?

Laura Lammel: Das ist vielleicht auch die Bauherrnmentalität? Bei größeren Projekten wird oftmals sehr früh festgelegt, was wie auszusehen hat. Viele professionelle Bauherren beherrschen das bereits sehr gut – es gibt aber Bereiche wo es noch deutlichen Verbesserungsbedarf gibt. Hier sehe ich auch bei Öffentlichen Auftraggebern durchaus Handlungsbedarf.

Viele Unternehmen der Baubranche werden in den kommenden Jahren vom Markt verschwinden, weil Nachfolgeregelungen fehlen und gleichzeitig akuter Fachkräftemangel herrscht. Was können wir dagegen tun?

Laura Lammel: Die Erwartungshaltung, effizienter auf den Baustellen zu werden, steigt durch die Digitalisierung immens. Das ist der eine bestimmende Faktor. Aber wir werden weiterhin die Menschen auf den Baustellen brauchen. Diejenigen, die zulangen und umsetzen. Es ist eine gesellschaftliche Verantwortung, den Stellenwert des Handwerks weiter zu erhöhen. Das liegt mir selbst sehr am Herzen! Ich bin in ein außergewöhnliches Projekt mit der TU München involviert. Hier arbeiten Studierende und Maurergesellen gemeinsam mit einem Mauerwerksroboter und entwickeln Programmierung und technische Umsetzung. Mitte Juli hatten wir unsere Projektwoche und konnten sehen, wie Programmierung, Roboter und Mensch real zusammenarbeiten. Kollaboration ist hierbei extrem wichtig.

Digitale Tools werden nicht die Welt retten. Wir müssen weiterhin auf den Baustellen miteinander reden. Das technische System eines Roboters ist anfällig: Das Wetter kann schlechter sein, als geplant. Der Ziegel plötzlich anders geformt oder die Struktur des Mörtels ist verändert. Wir brauchen dann Menschen mit Erfahrung. Nachhaltigkeit und Fachkräftemangel wiederum müssen wir mit einer strukturierten Digitalisierung angehen. Es ist aber parallel notwendig, die vorhandenen Fachkräfte für neue, digitale Strukturen auszubilden.

Mein Appell lautet: Lasst uns endlich Gedanken darüber machen, welche Anforderungen wir an die stellen, die unsere Zukunft bauen. Es ist unsere Verpflichtung und unsere Verantwortung, das vorzugeben. Und wir werden uns gleichzeitig auf ihre Welt einlassen: Die jungen Leute haben mit Corona zwei Jahre nur an digitalen Geräten gelernt und sich ausgetauscht. Unsere Berufsbilder sind aber weiterhin analog, die Ausbildung ist noch immer analog.

Können moderne Fertigungsmethoden wie 3D-Druck und Serielles Bauen mit hohem Vorfertigungsgrad den Fachkräftemangel ausgleichen? 

Laura Lammel: Serielles Bauen und Vorfertigung sind sicher wichtige Teilprozesse. Aber: Wenn nicht frühzeitig geplant wird, hilft mir das nicht weiter. Dann entstehen Mehrkosten, durch eine spätere Umplanung und nötige Ergänzungen. Wurde allerdings ein digitaler Zwilling mitgedacht, sind serielle Umsetzung und hoher Vorfertigungsgrad kein Thema mehr. Der 3D-Druck ist meines Erachtens noch „in den Kinderschuhen“. Hier wird noch viel Entwicklungsarbeit einfließen, damit es effizient sowie kostengünstig ist.

Das Bauen ist noch immer stark durch den Mittelstand geprägt. Sind die Unternehmen gut gerüstet für die kommenden Jahre – in Hinblick auf die Digitalisierung des Handwerks und der Baustellen?

Laura Lammel: Als Unternehmerin denke ich bei dem Thema weit voraus und bin bei der Digitalisierung sicher vorn dabei. Aber auch der Verband, die Bauinnung, hat sich gut aufgestellt und wird ihre Mitglieder in Richtung Digitalisierung voranbringen. Auch, was den Mehrwert digitaler Strukturen und Abläufe betrifft. Der Verband ist der richtige Partner, die Mitglieder auf ihrem Weg mitzunehmen. Das tun wir und es liegt mir am Herzen. Wir brauchen die Digitalisierung jedoch vor allem, um in Zukunft die enorme Bürokratie zu händeln, die durch die anstehenden Nachhaltigkeitsnachweise von überall auf uns zukommt.

Wie stellen Sie Ihr familiengeführtes Unternehmen Lammel Bau für die Zukunft auf?

Laura Lammel: Wir bauen in und um München herum. Kein Jahr ist das gleiche im Unternehmen. So wie der Stand der Digitalisierung sich ändert, verändert sich die Struktur bei uns ebenfalls. Unser Fokus als Bauunternehmen ist, möglichst schlank und agil zu bleiben. Wir überlegen immer wieder: Was kann uns helfen, cleverer und schneller zu werden? Dabei merke ich jeden Tag aufs Neue, dass Kommunikation eines der wichtigsten Elemente ist. Umso digitaler wir werden, desto wesentlicher wird der persönliche Austausch. Hinzu kommt die Kooperation mit den Partnerunternehmen, die Kollaboration. Gerade in Hinsicht auf den Fachkräftemangel ist das wichtig.


18.08.2022

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