Welche Trends zeichnen sich durch die Corona-Pandemie derzeit für die Projektentwicklung ab?
Das ist zum einen das Thema „Mixed-Use“: ganz klar ein Trend der letzten Jahre, der jetzt noch stärker kommen wird. Dieser Trend wird zum einen zunehmend von uns Entwicklern praktiziert, als dass wir die verschiedenen Assetklassen nun in einem Entwicklungsprojekt miteinander kombinieren – in unserem Geschäftsbereich wären das die Segmente Hotel, Handel und Büro. Gleichzeitig ist das Thema auch für Investoren und Banken mit Blick auf die Risikostreuung und Diversifikation ein wichtiger Punkt. Dabei wird die Maßstäblichkeit der einzelnen Nutzung zukünftig noch entscheidender. Die Frage wird sein: Wer braucht und bekommt wie viel Fläche? Weiterentwickelt kann man in das Thema „digitales Quartier“ einsteigen. Was ich dann am Ende des Tages digital abbilde, hängt von der Vernetztheit der jeweiligen Betreiber ab. Das kann von der digitalen Steuerung gemeinschaftlich genutzter Quartiersflächen bis hin zu einem nachhaltigen Müllkonzept reichen. Die digitale Vernetzung ist aus meiner Sicht sicherlich auch ein Trendthema, ohne das es zukünftig gar nicht gehen wird.
Die Bau- und Immobilienbranche in Deutschland wird mit Blick auf den Digitalisierungsfortschritt oftmals als „schlafender Riese“ verpönt. Stimmen Sie dem zu?
Teils, teils. Letztendlich kann ich die Situation nur aus meiner eigenen Brille betrachten. Und ich kann Ihnen sagen, als im Zusammenhang mit dem Corona-Lockdown an einem Donnerstagabend innerhalb unserer Unternehmensgruppe kommuniziert wurde, dass ab dem nächsten Tage kein Mitarbeiter mehr ins Büro kommen soll, war das technisch für uns keine große Herausforderung. Alle Mitarbeiter sind entsprechend ausgestattet und konnten am Freitag sofort im Home Office weiterarbeiten. Auf der anderen Seite sehe ich auch ein stückweit ein, dass wir als Branche insgesamt nicht die digitalen Vorreiter sind. Wir sind aber nicht ganz weit abgeschlagen. Dabei sollte man auch betonen, dass wir in der Projektentwicklung nun einmal andere Geschäftsprozesse innehalten als andere, stark automatisierbare Branchen wie die Automobilindustrie. Daher sollte man zunächst branchenspezifische Abwägungen tätigen und sich dann erst fragen, wie viel Digitalisierung da tatsächlich auch gut ist. Insofern würde ich uns nicht als schlafenden Riesen bezeichnen wollen, insbesondere auch deswegen nicht, weil wir für uns als Unternehmen wichtige digitale Themen, wie etwa die unternehmensweite BIM-Implementierung, bereits identifiziert haben und diese auch seit Jahren praktizieren.
Welchen Stellenwert nimmt die Digitalisierung für Sie als Projektentwickler ein?
Ich würde die Digitalisierung wie eine Welle bezeichnen, bei der die Frage nicht ist ob, sondern wann sie in ihrer vollen Wucht kommen wird. Wir sind aber gerne vor der Welle und nicht hinter der Welle. Deswegen haben wir uns schon entsprechend digital aufgestellt. Sobald wir Projektentwickler uns intensiv mit dem Thema Digitalisierung befassen, wird das meines Erachtens über kurz oder lang ein sehr großer Wettbewerbsvorteil sein. Gleichzeitig kann man in der Projektentwicklerbranche beobachten, dass viele Unternehmen noch eher zurückhaltend agieren. Natürlich waren die letzten Jahre für die Immobilienbranche wirtschaftlich sehr gut und es ging eigentlich kontinuierlich bergauf. Und global gesprochen, war vielleicht auch nicht die Notwendigkeit gegeben, überhaupt etwas an den Geschäftsprozessen zu ändern. Ich kann nur für mich selbst bzw. für unser Unternehmen sprechen: Im Prinzip stellen wir uns stetig die Frage, ob es Prozesse gibt, die wir verbessern können. Auf der anderen Seite sollte man aber gut funktionierende Prozesse nicht per se in den Papierkorb werfen. Es kommt am Ende immer auf die Dosis an: Für mich ist es entscheidend, wie viel Dosis Digitalisierung man in einer Projektentwicklungsgesellschaft überhaupt implementieren kann.
Welche digitalen Lösungen haben Sie dann konkret in Ihrem Unternehmen implementiert?
Angefangen von unserem Bestreben nach einem papierfreien Büro, was wir sicherlich noch nicht vollständig erreicht haben, bis hin zu vielen Workflows wie im Bereich der Abrechnung, die wir nur noch digital abbilden. Auch das Thema der digitalen Steuerung der Gebäudetechnik vonseiten der TGA ist für uns ein wichtiger Punkt, so dass man hier in die Lage versetzt wird, verstärkt digital Gebäude- und Automationssysteme zu steuern. Was die Arbeitsweise zwischen den einzelnen Fachdisziplinen anbelangt, nutzen wir seit Jahren für die effektive Projektkoordination virtuelle Räume. Zudem haben wir uns vor zwei Jahren dazu entschieden, in allen neuen Projektentwicklungen die BIM-Methode einzusetzen.
Welche Parameter waren für die BIM-Implementierung in Ihrem Unternehmen entscheidend?
Ein ganz großer Punkt ist für mich, dass wir mit dieser Methodik in die Lage versetzt werden, zu einem relativ frühen Zeitpunkt eine höhere Kostensicherheit zu haben. Auf der anderen Seite wird die Baugesellschaft dadurch in die Lage versetzt, auf der Baustelle effizienter zu handeln, so dass hier weniger Präsenz erforderlich ist als zuvor. Und der vielleicht sogar größte Vorteil ist, dass auch der Endinvestor in die Lage versetzt wird, einen deutlichen Mehrwert durch geringere Betriebskosten und eine bessere Steuerungsmöglichkeit zu bekommen. Bei möglichen Umbauten in der Zukunft ist dann eine viel bessere Datenbasis vorhanden, sodass diese Arbeiten deutlich effizienter und effektiver umgesetzt werden können. Das alles sind drei wichtige Parameter, die uns dazu veranlasst haben, BIM in unserem Unternehmen einzuführen. Und das ist natürlich die weitreichendste Entscheidung der Digitalisierung in unserem Bereich.
Auf welche Herausforderungen sind Sie in der BIM-Implementierung gestoßen?
In unserem ersten BIM-Projekt sahen wir uns ehrlich gesagt einem erhöhten Aufwand gegenüber. Allein mit der Software gab es zu Beginn große Herausforderungen. Dabei hat jeder Projektbeteiligte mit seiner eigenen Software hantiert, so dass wir uns der klassischen Schnittstellenproblematik gegenübersahen. Mittlerweile hat sich das Ganze etwas eingespielt, weil die KollegInnen von unseren BIM-Experten LIST Digital anhand des BIM-Abwicklungsplans (BAP) die Planungsgewerke gut über das offene Austauschformat IFC steuern können. Dieses ermöglicht es, die verschiedenen Formate in eine einheitliche Form zu bringen, mit der jeder arbeiten kann. Am Anfang war es auch so, dass die Arbeitsweise mit BIM für viele Fachplaner komplettes Neuland war – wie für uns ja auch. Da gibt es dann erst einmal viel Abstimmungsbedarf. Zeitgleich war es für uns von Anfang an wichtig, das richtige Maß in der Arbeitsweise mit BIM kennenzulernen und ich glaube, dass wir derzeit auf dem richtigen Weg sind, dies für uns herauszukristallisieren. Dabei sollte man sich insbesondere folgende Fragen stellen: Was bedeutet BIM? Und wie viel BIM brauche ich für mein Unternehmen? Am Ende des Tages muss sich aber auch der Mehrwert dieser Methodik einstellen. Das sage ich ganz klar. Und insofern glaube ich, dass wir alle noch viel lernen müssen.
Welche Managementmaßnahmen und internen Unternehmensanpassungen waren für Ihr Unternehmen notwendig, um die BIM-Implementierung erfolgreich zu gestalten?
Ein wichtiger Meilenstein innerhalb unserer Unternehmensgruppe war die Gründung von LIST Digital, für die wir erfahrene BIM-Experten gewinnen konnten. Das Unternehmen unterstützt seine Kunden, aber eben auch uns stark in der BIM-Einführung, hält die Schnittstelle zu den Fachplanern und treibt das Thema BIM gruppenweit voran. Es hat sich zudem in der täglichen Praxis mir den Fachplanern als immens wichtig herausgestellt, dass bei jedem BIM-Projekt vorab ein Kick-Off Termin gehalten wird, in dem sämtliche Ziele aller Projektbeteiligten festgehalten werden. Damit geht aber auch einher, dass alle Projektbeteiligten sich in der BIM-Zusammenarbeit ehrlicherweise eingestehen müssen, „ja, das kann ich“, oder eben „das kann ich nicht“ leisten. Wenn mir rein hypothetisch gesprochen ein Architekt zusagt, ja diese BIM-Leistung kann ich vollziehen, aber wir dann erst in der Phase vor dem Bauantrag bemerken, dass funktioniert so nicht, dann haben wir ein Problem. Hierzu sollte es bestenfalls auch einen BIM-Koordinator bzw. BIM-Manager im Projekt geben, der die Prozesse und Ziele entsprechend nachhält.
Was möchten Sie als Unternehmen zukünftig im Bereich Digitalisierung erreichen?
Ich würde mich sehr glücklich schätzen, wenn wir in einigen Jahren von der Umsetzungsgeschwindigkeit in BIM genauso schnell bzw. in der Projekterstellung noch effizienter wären als zuvor. Das wäre für mich schon ein großer Erfolg. Dabei ist es wichtig, dass man sich immer seine eigenen Ziele steckt. Gleichzeitig sollten die Ziele der anderen Projektbeteiligten nicht außer Acht gelassen werden bzw. sollte man sicherstellen, dass auch alle anderen Beteiligten mitziehen können.
Vielen Dank für das Interview, Herr Garstka.
13.07.2020