Die Produktivität von Unternehmen, Wirtschaftszweigen und Volkswirtschaften ist eine starke Triebfeder des gesellschaftlichen Wohlstands. Als wirtschaftliche Kennzahl beschreibt sie das Verhältnis zwischen den produzierten Produkten/Dienstleistungen und den in der Herstellung zum Einsatz kommenden Produktionsfaktoren. Dabei lässt sich Produktivität nochmals in die Kenngrößen Arbeitsproduktivität und Totale Faktorproduktivität (TFP) unterscheiden: Erstere misst das Verhältnis zwischen Produktionsergebnis und geleisteten Arbeitseinsatz, letztere wird oftmals als Maß für den technischen Fortschritt herangezogen.
36 Sekunden Input an wertschöpfender Arbeit in der Baubranche könnten ein Plus von 4,7 Milliarden Euro bedeuten
Ein Forschungsteam der Aarhus Universität in Dänemark hat nun die Produktivitätsdaten der Bauindustrie in den USA und Kanada für den Zeitraum von 1972 bis 2010 analysiert. Das Ergebnis: Seit 1972 hat die Arbeitsproduktivität in der nordamerikanischen Baubranche kontinuierlich abgenommen. Hasse Neve, Forscher an der Fakultät für Ingenieurswesen an der Aarhus Universität, erläutert die Hintergründe der rückläufigen Produktivitätsentwicklung wie folgt: „Seit 1972 haben wir kontinuierlich immer weniger aus jeder Arbeitsstunde herausbekommen. Baustellen sind deutlich ineffizienter geworden, weil mehr Zeit für nicht-wertschöpfende Arbeiten aufgewendet wird. Letztlich bedeutet dies, dass wir immer mehr Arbeitsstunden für einen einzigen Bauauftrag aufwenden. Daher verdienen Bauunternehmer nicht mehr so viel Geld am Bau, wie sie es eigentlich verdienen könnten.“ Um zu veranschaulichen, welchen Wert die Bauindustrie erzeugen könnte, wenn mehr Zeit in rein wertschöpfende Arbeitsprozesse investiert werden würde, haben die Forscher folgende Kalkulation aufgestellt: bereits ein Mehr an 36 Sekunden wertschöpfender Arbeit pro Stunde könnte dem nordamerikanischen Bruttoinlandsprodukt ein jährliches Plus in Höhe von 5,4 Milliarden US-Dollar pro Jahr (ca. 4,7 Milliarden Euro) bescheren. Dabei sind die Studienautoren überzeugt: Dieses beträchtliche Potenzial würde trotz der nordamerikanischen Datenbasis auch in den europäischen Baubranchen schlummern.
Differenzierter Blickwinkel auf die Produktivitätsentwicklung in Deutschland
Ein etwas differenziertes Bild zur Produktivitätsentwicklung in Deutschland offeriert die erst im Herbst vergangenen Jahres veröffentlichte Studie „Zukunft Bau“ des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, die sich unterschiedlicher Produktivitätsmaße, Betrachtungszeiträume sowie branchen- und länderübergreifender Vergleiche bedient. Dabei zeigt sich etwa, dass die Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität im deutschen Baugewerbe von 1998 bis 2015 mit 0,12 Prozent zwar nicht rückläufig, aber relativ zur Gesamtwirtschaft eher unterdurchschnittlich verlief. Im selben Zeitraum ist die Anzahl der Erwerbstätigen (-1,38 Prozent) und das Outputmaß, in dem Fall die Wachstumsrate der realen Bruttowertschöpfung im Baugewerbe (-1,35 Prozent), zurückgegangen. Interessanterweise wird im Branchenvergleich deutlich, dass etwa wissensintensive und sonstige Dienstleistungen, anders als die Baubranche, einen deutlichen Produktivitätsrückgang (-1,36 Prozent) zu verzeichnen haben. Im europäischen Ländervergleich zeichnen sich zudem erhebliche Unterschiede in der Produktivitätsentwicklung des Baugewerbes ab: Deutschland steht zusammen mit Großbritannien überdurchschnittlich gut da, während Länder wie Frankreich, Spanien, Italien und Schweden eine negative Entwicklung der Arbeitsproduktivität aufweisen.
Mit Blick auf die Totale Faktorproduktivität (TFP), als Maß für den technologischen Fortschritt, verzeichnet die Baubranche in Deutschland im Zeitraum von 1998 bis 2015 durchschnittlich einen jährlichen Rückgang um -0,21 Prozent, während das TFP-Wachstum in der Gesamtwirtschaft um 0,34 Prozent zulegte. Im europäischen Vergleich sind jedoch sämtliche TFP-Wachstumsraten im Baugewerbe der betrachteten Länder rückläufig. Diese rückläufige Entwicklung kann zunächst eine geringere Ausschöpfung des technologischen Potenzials in der Baubranche implizieren, wobei hier auch Messfehler der TFP-Kennzahl gegeben sein könnten. Doch kann der schwachen Produktivitätsentwicklung im Baugewerbe grundsätzlich entgegengewirkt werden?
Prozessoptimierung: Patentrezept zur Produktivitätssteigerung am Bau?
Um das Produktivitätslevel der Baubranche zu heben, empfehlen die Forscher aus Dänemark primär Maßnahmen zur Prozessoptimierung im Baumanagement. Eine stärkere Konzentration auf die Aktivitäten der Projektebene sei dabei entscheidend, um die Arbeitsprozesse am Bau effizienter zu gestalten. Hier sei insbesondere die Bauleitplanung gefragt, die den größten Einfluss auf die Steuerung effizienzsteigernder Aktivitäten durch die Nutzung richtiger Werkzeuge und Kompetenzen erreichen könnte. Moderne Managementmethoden wie „Lean Construction“ könnten beispielsweise Abhilfe verschaffen – so die Studienautoren - um die Arbeitsabläufe auf den Baustellen zu optimieren und ineffiziente Prozesse zu eliminieren. Doch sind es wirklich nur ineffiziente Arbeitsabläufe im Baumanagement, die für die schwache Produktivität am Bau verantwortlich sein können?
Weitere Potenziale zur Produktivitätssteigerung durch die Digitalisierung
Die bloße Fokussierung der dänischen Forscher auf die Bauprozessoptimierung durch Projektmanagementmethoden zur Produktivitätssteigerung erscheint an dieser Stelle etwas verkürzt. Die ZEW-Studie betont beispielsweise auch den geringen Produktivitätsbeitrag durch bisherige Digitalisierungsmaßnahmen. Dabei identifiziert die Studie mitunter als Ursache, dass sich viele Bau- und Planungsunternehmen bisher kaum oder nur wenig mit Digitalisierungsthemen auseinandergesetzt haben. Vor allem die gezielte Durchführung von Digitalisierungsprojekten jenseits grundlegender Optimierungsmaßnahmen wie die digitale Zeiterfassung oder Baudokumentation könnten einen bedeutenden Beitrag zur Produktivitätssteigerung leisten.
Das Produktivitäts-Paradoxon
Neben der schwachen Produktivitätsentwicklung am Bau, zeigt sich aber auch gesamtwirtschaftlich betrachtet das so-genannte Produktivitäts-Paradoxon. Damit ist das Phänomen geringer Produktivitätszuwächse trotz des Zeitalters der fortschreitenden Digitalisierung und der damit eigentlich verbundenen Effizienzsteigerungen gemeint. Dies lässt sich branchenweit bzw. auf nationaler Ebene beobachten. Wirtschaftswissenschaftliche Studien belegen, dass trotz fortschreitender Digitalisierung das Produktivitätswachstum in den frühindustrialisierten Ländern bereits seit 1970 abnimmt. Hierfür finden sich in den Wirtschaftswissenschaften unterschiedliche Erklärungsansätze. Zum einen wird argumentiert, dass digitale Technologien und Methoden noch nicht ganz ihr Potential in der Produktion entfalten konnten und Produktivitätsfortschritte erst in naher Zukunft zu erwarten sind. Eine weitere Ursache findet sich wohl auch in der mangelnden IT-Qualifikation vieler Beschäftigter, wodurch das digitale Potenzial noch nicht umfänglich ausgeschöpft werden kann. Zudem zeigen Studien, dass die Arbeitsproduktivität vor allem bei digitalen Vorreiterunternehmen deutlich stärkeren Zuwächsen unterliegt und somit ein Auseinanderdriften der Produktivität unter den Marktteilnehmern begünstigt. Ursächlich hierfür könnte die verzögerte Verbreitung bzw. Adaption digitaler Technologien im Markt und ein verstärkter „Winner-takes-it-all-Wettbewerb“ sein.
Fazit: Es gibt nicht den einen Therapieansatz zur Steigerung der Produktivität
Die Steigerung der betrieblichen Produktivität ist letztendlich ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Einflussgrößen mitunter bestehend aus den Unternehmenszielen, der Innovationsfähigkeit und Marktposition des Betriebs. Investitionen in moderne Informations- und Kommunikationstechnologien und damit verbundene Maßnahmen im Bereich der Prozessoptimierung, der Weiterbildung und des Wissensaustauschs mit anderen Unternehmen können zur weiteren Produktivitätssteigerung förderlich sein. Jedoch gibt es sicherlich nicht die eine Lösung zur Ausschöpfung des beträchtlichen Effizienzpotentials im Baugewerbe.
Quellen:
- Aarhus University (2020), Construction: How to turn 36 seconds into USD 5.4 billion
- Bertschek, I. et al. (2019), Zukunft Bau. Beitrag der Digitalisierung zur Produktivität in der Baubranche. Endbericht
- Peters, B. et al. (2018), Innovationsaktivitäten als Ursache des Productivity Slowdowns?
16.07.2020